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Verteidigungsreden für die Götter

Im Lateinkurs auf erhöhtem Niveau haben wir die Schrift „De providentia“ (Über die Vorsehung) des römischen Philosophen Seneca gelesen; Seneca stellt sich die Frage, wieso einem guten Menschen Schlechtes widerfahren kann, wenn doch die Götter das Universum leiten. Der Philosoph hatte angekündigt, er werde als Antwort auf diese Frage eine „Verteidigungsrede für die Götter“ halten. Vor der Lektüre von Senecas Version haben Schüler aus dem Lateinkurs selbst eine Verteidigungsrede für die Götter geschrieben, wie Seneca sie hätte halten können.

Sylvia Thiele

 

Felix Frühauf (Abi 2011): Eine Verteidigungsrede für die Götter

Warum denn dem guten Manne so viel Schlechtes geschehe, wenn doch alles Leben im Kosmos von vorherbestimmender Hand geführt werde. Ob denn angesichts allen Unheils auf Erden überhaupt eine lenkende Macht bestehen könne. Und wenn man sich nun schon diesem Gedanken öffnete, ob dann diese Macht recht eigentlich gut sei?

Mit manch solcher Fragestellung sehe ich mich konfrontiert, Tag für Tag, an mich herangetragen von Wissbegierigen oder aufkeimend in mir selbst. Der Wissbegierige ersucht mich um eine Stellungnahme zu der einen oder der anderen Frage, erbittet eine Klarstellung der Tatsachen, sich selbst nicht mehr zurechtfindend, wohl wissend, dass diese meine Stellungnahme nur eine Meinung sein kann unter vielen. Doch so werde ich nun in diesem Streit, der ohne klare Fronten verläuft, Partei ergreifen für die Sache der Götter!

Es gilt zunächst einige Voraussetzungen zu klären, um sich der Sache gewiss zu werden, auf dass man eine Meinung sich bilden könne. Niemand wird bestreiten wollen, dass wir in einer Umgebung, der Natur, leben, die ein einfacher wie auch ein gebildeter Mann sich nicht hätte erdenken können, hätte er in leerem Raum gesessen, ohne die Erfahrung von Sonne, Erde und all den Lebewesen dieser Welt. Wir wollen also festhalten, dass die Zusammenhänge allen Lebens auf der Erde einem komplexen System zu folgen scheinen, welches wir als einfache Menschen uns nicht hätten gedanklich konstruieren, geschweige denn erschaffen können.

Hatten wir an anderer Stelle bereits festgestellt, dass der Mensch aber dem Tier, der Pflanze und aller unbelebten Materie durch seine Vernunft überlegen ist, kommt denn sogleich in den Sinn, es müsse ein dem Menschen übergeordnetes Prinzip für die Entstehung der Natur verantwortlich zeichnen. Schon höre ich den geneigten Epikureer einwerfen, es sei der Kosmos das Produkt einer zufälligen Anordnung der atomaren Teilchen, nicht zu beeinflussen durch irgendjemandes Hand. Demselben gebe ich nun ein Säckchen mit zwanzig Holzstöckchen an die Hand, sie mit hundertfacher Wiederholung durcheinanderzuwerfen, auf dass ein Haus daraus werde oder zumindest eine Form, die wiederzuerkennen jeder im Stande wäre. Ich sage voraus, dass wir hier von einer äußerst geringen Wahrscheinlichkeit sprechen dürften, die jedoch noch um einiges höher ausfallen müsste als bei der Weltentstehung, da es sich nur um 20 Holzstöckchen handelt, die einer ungleich größeren Menge an Teilchen gegenüberstehen.

Doch was bleibt? Die Perfektion, mit der die Natur geschaffen wurde, lässt nur den einen Schluss zu: dass von einer schöpfenden Kraft die Rede sein muss, die mit vollendeter Vernunft vorgegangen ist, der des Menschen verwandt, doch aber ungleich größer.

So haben wir nun den ersten Schritt getan, der den Weg dieses Beweises einleitet. Doch sollen auch die anderen Fragen beantwortet werden, nachdem wir die Prämisse festgelegt haben, dass es eine übergeordnete göttliche Macht geben muss.

Da sieht sich nun ein tugendhafter Mann den Unbilden des Schicksals ausgesetzt, unverdienterweise, wie man meinen könnte. Ein Gott, der einem sich vorbildlich verhaltenden Manne die Bürden einer Krankheit aufhalst, könne so denn doch nicht gut sein. Und wieder ergreife ich Partei für den guten Gott! Denn hierbei gilt es festzustellen, dass sich die Güte eines Gottes und vordergründiges Unrecht nicht ausschließen müssen. Dafür müssen die Gaben und Aufgaben der fortuna als Prüfungen verstanden werden, deren Bewältigung die Tugendhaftigkeit eines Mannes erst bestimmen.

Dem wahrhaft guten Manne wird also auch Gutes widerfahren, indem er seinen Geist, seine Vernunft, all die dem Göttlichen entlehnten Eigenschaften des Menschen zur Vollendung bringt und somit auch die Widrigkeiten des Schicksals mit kleiner Mühe schultern kann.

Dem, der die Welt als gottlos und also irgendwie aus sich selbst entstanden begreift, müssen angesichts der wahrscheinlichen Vermutungen durchaus Zweifel an seinem Weltbild kommen, die wiederum zu meinem abschließenden Plädoyer überleiten: Wer die Götter anklagt und aber gleichzeitig auch Unsicherheit über die tatsächlichen Ursachen und Wirkungen unserer Natur verspürt, wird nicht umhin kommen, in diesem Rechtsstreit einem juristischen Grundprinzip folge zu leisten: in dubio pro reo, ich beantrage Freispruch für die Götter in allen Anschuldigungspunkten.

 

Julia Sprengel (Abi 2011): Eine Verteidigungsrede für die Götter

Wir sind heute hier zusammengekommen, um über den Grundstoff unseres Glaubens zu diskutieren. Die Schöpfer und Schützer unseres Lebens, die uns beraten und geleiten, diese Götter müssen verteidigt werden, und wenn niemand von euch Manns genug ist, dies zu tun, dann werde ich meine Pflicht erfüllen.

Die Frage, die wir uns heute stellen, fragten sich schon vor tausenden von Jahren die gottesfürchtigen Menschen, die Frage, warum guten Männern, die die virtus gemeistert haben oder noch auf dem Weg zum vollkommenen Weisen sind, so viel Übel widerfährt. Obwohl wir Götter haben, die das Schicksal lenken und uns leiten, existiert doch das Unrecht. Warum?

Stellt euch vor, ihr wacht morgens auf. Woher wisst ihr, dass es Tag ist? Woher wisst ihr, dass ihr spät am Tag nicht mehr arbeiten solltet? Doch nur, weil die Nacht anbricht und die Sonne verschwindet. Obwohl der Tag mehr wert ist als die Nacht, braucht ihr diese Beendigung des Tagen, um den Unterschied zu bemerken.
Nun stellt euch vor, es gäbe kein Unrecht. Die Menschheit - im Moment unwichtig, ob sie gut oder schlecht ist - kennt kein Unrecht, so kenne sie aber auch kein Recht. Und ohne Recht gäbe es nichts von uns, keine Wertvorstellungen und keinen Staat. Wir brauchen die Dunkelheit, um die Helligkeit mit Freuden zu empfangen und schätzen zu können, und damit wir überhaupt wissen, was Recht ist.

Da wir jetzt geklärt haben, warum Unrecht überhaupt existiert, fragen wir uns, nach welchem Maße es verteilt werden muss, wann es eingesetzt wird.
Die einen sagen, die Guten bekämen das Unrecht zu spüren, um ihnen einen Wink zu geben. Um diesen guten Menschen daran zu erinnern, dass er nicht allein auf der Welt ist und dass nicht alle Menschen das Recht suchen. Doch diese Menschen sollen nicht verachtet werden, sondern es muss ihnen geholfen werden. Wir müssen ihnen helfen, damit unsere Welt weiter funktioniert. Da wir uns alle für den Zusammenhalt dieses Staates einsetzten müssen, ist es auch an uns, den schlechten Menschen das Gute nahe zu bringen, sie sozusagen zu bekehren, denn für den entstandenen Schaden, den die Menschheit anrichtet, müssen alle bezahlen.

Andere meinen allerdings, dass jeder für sich selbst verantwortlich ist und allein für sich sorgen muss. So werden die Schlechten gerechterweise von den Göttern bestraft - aber was ist mit dem Unheil der Guten. Diejenigen mögen denken, dass das Übel für die Guten keine Strafe darstellt, sondern eine Herausforderung. Dieser Gott will den Guten helfen, an diesen Herausforderungen weiter zu wachsen und sich daran zu stärken.

Doch die meisten Menschen behaupten, der einzige Grund für diese Ungerechtigkeit sei die Unvollkommenheit der Götter. Wer hat denn noch nicht von den menschlichen Zügen der Götter gehört, die sie lieben, hassen und rächen lassen?

Aber ich will keinem die Meinung vorwegnehmen. Jeder soll selbst aus diesen Argumenten heraus entscheiden, welche Geisteshaltung seinem eigenen Gott zukommt. Darum findet aus meiner Rede euer Argument und misstraut ihnen nicht.

 

 

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