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Berichte
2012
August - Dezember
09.09.2012: Schenkt man manchen modernen Darstellungen Glauben, so war das antike Rom eine Freizeitgesellschaft, in der vorwiegend die Sklaven arbeiteten. Das süße Freizeitleben der „kleinen“ Leute sei von Gladiatorenshows, Wagenrennen und Thermenbesuchen geprägt gewesen – eine fatale Fehldeutung der berühmten „Brot-und-Spiele-Formel“ des Satirikers Juvenal. Seneca spricht diese Formen der Freizeitgestaltung in seinen epistulae relativ selten an. Wo er es tut, warnt er davor, sich nach dem Geschmack der Masse zu richten.
Häufiger geht er mit den Freizeitbeschäftigungen der Oberschicht ins Gericht: den ausgedehnten Gelagen, den sexuellen Vergnügungen, dem „Lotterleben“ im mondänen Badeort Baiae. Wer seine Freizeit so verbringe, führe das Leben eines Sklaven, weil er seine Lebenszeit vergeude. Alle klagen über Zeitmangel – ein sehr aktueller Aspekt -, und alle verplempern ihre Zeit…
Wirklich erfüllte freie Zeit im Sinne von libertas, „Freiheit“, bietet Seneca zufolge nur ein philosophisches otium. Die These wirkt auf den ersten Blick genussfeindlich und mag auch auf unsere tendenziell freizeitorientierte Gesellschaft provokant wirken.
Eine ausgewogene work-life-balance, wie wir sie heute in moderner Diktion anstreben – auch für Seneca ist das eine Herausforderung. Er selbst war jahrelang als Erzieher Neros und de-facto-Regent des Reiches ein viel beschäftigter Mann. Aus der Rückschau erscheint es ihm als Irrtum, dass er sich von diesen beruflichen Verpflichtungen so stark hat in Anspruch nehmen lassen. Und er rät seinem Briefpartner Lucilius, sich dem „Joch des Staatsdienstes“ zu entziehen und seinem Verlangen nach Freizeit und Freiheit nachzugeben. „Arbeit an sich ist kein Gut“, stellt Seneca überraschend fest. Manch einer wird ihm spontan Beifall zollen – ob auch noch nach dem Vortrag, bleibt abzuwarten.
Prof. Dr. K.-W. Weeber
Der öffentliche Vortrag von Prof. Karl-Wilhelm Weeber findet am 19.9. von 14.00 bis ca. 15.30 Uhr in der Aula des Haupthauses statt. Der Eintritt ist frei, um Spenden wird gebeten.
S. Conrad