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Berichte
2015
Januar - Juli
Stolperstein für Heinrich Jasper
Gedenkworte von Holger Thies, Vorsitzender des WG-Ehemaligenvereins
Erinnern ist ein recht umkämpftes Terrain.
Damit wird auch Politik gemacht - Überall auf der Welt.
Oft genug wird debattiert und gestritten - bis aus der Frage wie/wann/ob - im schlimmsten Falle nichts mehr übrig bleibt. Dabei steht doch der Mensch, seine Leistungen und sein Vermächtnis im Vordergrund!
Heute freue ich mich umso mehr, dass wir einen so umfassenden Konsens haben für das Gedenken an Heinrich Jasper. Und wer heute am sonnigen Morgen schon bei der Verlegung des Stolpersteines zugegen war, der wird mit mir sagen können: Es war ein sehr würdevolles Ereignis!
Für mich als Ehemaliger dieser Schule, der nahezu hundert Jahre nach Heinrich Jasper hier lernte, ist es gar nicht so wichtig, ob es eine einzige „richtige“ Form des Erinnern gibt - wie oft debattiert wird - und ob wir sie bereits gefunden haben.
Vielmehr sehe ich: Die Generation der Zeitzeugen geht zu Ende und es beginnt das Leben einer Generation, die möglicherweise in der Gefahr ist, die Erfahrungen, für die die NS-Verbrechen stehen, nur noch als „Geschichtsklausur“ zu betrachten - Es besteht die Gefahr, sie nicht mehr wichtig zu nehmen.
Es kommt mir also darauf an, über die Vergangenheit zu sprechen, sie so zu vermitteln und so an sie zu erinnern, dass die Jungen die Verantwortung, gegen jede Wiederholung des Terrors anzutreten, als ihre eigene Verantwortung empfinden.
Es ist m. E. eine entscheidende Aufgabe unserer Generation und aller hier Anwesenden!
Diese Erinnerungsorte können dabei „Kristallisationspunkte“ zur kritischen Auseinandersetzung sein und die Persönlichkeit in Ihrer Vorbildfunktion hervorheben.
Dass dies - wie heute - auch an einer Schule geschieht, nenne ich einen echten Glücksfall!
Insofern danke ich heute ganz besonders dem Künstler Gunter Demnig sowie dem Arbeitskreis und nicht zuletzt dem Projektleiter an dieser Schule, Herrn Jäger, sowie der Schulleitung und den „mitmachenden“ Lehrern und Schülern, dass sie eine nachhaltige und lebendige Form des Erinnerns gefunden haben. Dass sie den ehemaligen Schüler Heinrich Jasper mit diesem Stolperstein ehren und sein Wirken in unser Bewusstsein zurückkehren lassen.
Eine derart lebendige - nicht aufgesetzte - Form des Erinnerns macht Historisches - wie wir heute eindrucksvoll erleben dürfen - sehr gut nachvollziehbar.
Dazu haben wir heute in der Vita des Heinrich Jasper schon vieles gehört.
Der Stolperstein kann heute ebenso Trauer über Leid und Verlust zum Ausdruck bringen und einen Ort des Nachdenkens bieten. Er kann und darf auch zur steten Wachsamkeit, zum Kampf gegen Wiederholungen ermutigen. Denn wir alle müssen Gefahren für die Zukunft bannen.
Für mich ist daher dieser heutige Tag ein ganz wichtiger, denn er gräbt unseren Kindern und Kindeskindern die Verantwortung für Demokratie, für Freiheit und Menschenwürde in die Herzen.
Das sind wir nicht nur den NS-Opfern und nicht nur den möglichen Opfern neuer Diktaturen schuldig, sondern wir sind es uns selbst schuldig.
Ja - man kann es wohl nicht früh genug lernen: Totalitarismus, Gewalt und Menschenverachtung sind nur schwer zu bekämpfen, wenn sie schon die Macht ergriffen haben.
Leider können wir das jeden Tag hier auf dieser Welt sehen.
Man muss sie bekämpfen, wenn sie zum ersten Mal - vielleicht auch nur subtil - auftreten.
Unsere Verantwortung ist es, dieses Wissen, diese Erfahrungen, diesen Appell weiterzugeben.
Meine sehr geehrte Damen und Herren,
Vor etwas mehr als 70 Jahren starb Dr. Heinrich Jasper.
Von den Nationalsozialisten wurde er gepeinigt und im KZ Bergen-Belsen im Jahre 1945 schließlich umgebracht. Er wurde fast 70 Jahre alt.
Heinrich Jasper besuchte diese Schule vor mehr als hundert Jahren, für eine kurze Zeit von 1890 bis 1894. Mit seinem hier erworbenen Abitur machte er sich auf den Weg, Jura zu studieren. Schließlich eröffnete er im Jahre 1901 eine Anwaltspraxis - gar nicht weit weg von hier in der Nähe des Rathauses.
Am 19.Februar 1945 - kurz vor Kriegsende - ging in Bergen-Belsen - keine 100 km entfernt von hier - das Leben eines verantwortungsvollen Bürgers und gleichermaßen eines Staatsmannes mit umfangreichen Wissen und einer unbestechlichen Persönlichkeit unter Qualen zu Ende.
Die Einigkeit, mit der wir hier heute seiner gedenken, liegt wohl in den Werten begründet, für die Jasper eintrat, die ihn leiteten und die ihn letztlich auch zum Feind und Verfolgten der Nationalsozialisten werden ließen.
Was sind das nun für Werte und Prinzipien, für die Heinrich Jaspers einstand?
Sehr geehrte Damen und Herren, die Aufzählung der genannten Charaktereigenschaften kann an dieser Stelle nur unvollständig sein. Dennoch
das ist schon ein ganz besonderes Vermächtnis! Dafür steht Heinrich Jasper!
Diese Werte vermittelt uns seine Geschichte heute.
Es sind Werte, für die das Wilhelm-Gymnasium - und auch der Ehemaligen-Verein, den ich heute repräsentieren darf, heute noch steht.
Werte, die jungen Menschen hier aktuell vermittelt werden.
Werte, die auch heute - über hundert Jahre später - nichts an ihrer Gültigkeit, an ihrer Wichtigkeit verloren haben.
Vielleicht haben sie gar an Wichtigkeit gewonnen, in Zeiten in denen Politik, Kirche und Gesellschaft weniger Werte vorgeben, in denen manches gar beliebig zu werden droht, in denen vieles so unüberschaubar und spekulativ geworden ist.
Möge dieser heute gelegte Stolperstein für Heinrich Jasper und das tagtägliche „Darüber-stolpern“ an diese Werte erinnern. Auf dass wir unser eigenes Handeln überdenken, uns unserer eigenen Werte besinnen und für sie einstehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Im Anschluss an diese Feierliche Gedenkstunde ist es mir eine Ehre, Sie im Namen des Ehemaligen-Vereins des Wilhelm-Gymnasiums zu einem Ausklang einladen zu dürfen. Vielen Dank.
Holger Thies
Braunschweig, 29.06.2015
Dr. Heinrich Jasper Gedenkstunde am 29.06.2015
Stolperstein für Heinrich Jasper